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Rousseau, seine Theorie der drei Erzieher und was wir heute daraus lernen können

Einige wissen wohl schon, dass ich mittlerweile seit April 2018 Pädagogik im Elementarbereich, also für Kinder von 0-12 Jahren, studiere. Mit Unterbrechungen und Auf und Ab's habe ich nun meine erste Hausarbeit abgegeben und wollte euch einen kleinen Einblick geben, mit was ich mich dort Beschäftige. Dieser Text war für das Seminar "Geschichte und Theorien von Erziehung und Bildung". Mein bisheriges Lieblingsseminar, von dem ich mich nun leider verabschieden muss. Und ja es hängt mit meiner Liebe zu Geschichte zusammen. Enjoy it! Aber vorsicht: Es ist nichts was man mal so eben nebenbei lesen kann ;)

Liebste Grüße von mir 
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In der Einleitung zur zusammengefassten Ausgabe von Jean-Jacques Rousseau's Emilé oder
Über die Erziehung schreibt Stefan Zweig:
“Soll es in unserer Epoche die höher Erziehung geben, so muss es vom Anfang des An- fangs beginnen, der innen im Menschen anhebt, und der nicht im Bürger endet, sondern  wieder im Menschen: in dem freien Menschen“.
 Er appelliert hiermit an eine Erziehung ab der frühen Kindheit und gleichzeitig an eine Reform
des Bildungssystems in Deutschland. Obwohl er diesen Satz im frühen 20. Jahrhundert formu-
lierte, ist die Nachfrage nach einer Bildungsreform in der Elementarpädagogik immer noch groß.
Das Gute-KiTa-Gesetz ist in pädagogischen Kreisen zurzeit stark diskutiert und Stefan Zweigs
Aussage also hochaktuell. Mit Blick auf das Buch Jean-Jacques Rousseaus was weitere zwei
Jahrhunderte jünger ist, als Stefan Zweigs Zitat, habe ich festgestellt, dass auch Rousseaus Er-
ziehungsvorstellungen als aktueller Diskurs gesehen werden kann. Viele seiner Thesen sind
heute wissenschaftlich festgehalten, wie zum Beispiel das Entwicklungsstufenmodell von
Piaget. Des Weiteren zeigt es Kritik an Erziehungs- und Bildungsstrukturen und -systemen, die
auch heute noch existieren. Ich fragte mich: Was wäre Rousseaus Meinung nach eine gute
Kita? Dazu erschloss ich mir zunächst Rousseaus Bild und Vorstellungen von Erziehung und
versuchte darauf ein theoretisches Konzept Rousseaus für eine Kindertagesstätte entstehen zu
lassen. 

2. Die drei Erzieher* nach Rousseau

Die wichtigste Grundlage der Erziehung bei Rousseau ist, dass er von unterschiedlichen Er-
ziehern* spricht: der Natur, den Dingen und dem Menschen. Bevor sich dem Zusammenspiel
dieser drei zugewandt wird, werden sie erstmal einzeln erklärt um den Einfluss jedes einzelnen
erkennen zu können.

2.1. Der Mensch als Erzieher*

Begonnen wird mit dem Mensch, der am Anfang wohl am greifbarsten scheint: Der/die
Erzieher*in soll dem Kind beibringen, wie es seine Fähigkeiten und Kräfte, die es mitbringt, ge-
brauchen kann (vgl. Kraft 1997, S. 21). 
Bewusst steht Mensch bei Rousseau in der Singularform, denn das Kind darf, wenn es später
gut erzogen sein soll, nur eine Person haben, die es erzieht. Weder Angestellte, Bekannte oder
Freunde sollen das Kind erziehen. Auch ein*e Lehrer*in in einer öffentlichen Erziehungs- oder
Bildungseinrichtung, wie der Schule, ist nicht als Erzieher*in geeignet. So ist ein*e Lehrer*in
zum einen vom Staat angestellt, also abhängig, und somit nicht der/die richtige um das Kind frei
zu erziehen. Zum anderen beginnt die Erziehung mit der Geburt, sodass der Erzieher* Mensch
auch von dem Moment anwesend sein muss und nicht erst im Schulalter in das Leben des Kin-
des tritt (vgl. UTB 1998, S.13ff.). 
Doch auch der Mensch, der vom Augenblick der Geburt an beim Kind wäre, stellt sich als recht
problematisch dar. Denn mit der Ablehnung des Staates und der Gesellschaft Rousseaus, geht
die Erkenntnis einher, dass der/die Erzieher*in in dieser groß und erzogen worden ist. Somit ist
er/sie schon von diesen negativ beeinflusst und kann kein vollständig unabhängiger Mensch
mehr werden. Denn die Gesellschaft ist ein großer Widerspruch für die Menschen. Sie können
nur gebildete Menschen werden, wenn sie gesellschaftlich Zusammenleben und soziale Bezieh-
ungen eingehen, in denen sich ausgetauscht wird. Dadurch werden auch Gefühle wie Neid,
Hass und Missgunst geweckt, die als Antrieb für Machtkämpfe, Kriege und Unterdrückung dien-
en. Das Individuum tritt in Rivalität zu den anderen Menschen und fokussiert sein Handeln auf
sich selbst, bis hin zum Egoismus, der von Gefühlen für andere Wesen trennt. Hierin liegt für
Rousseau alles böse auf der Welt (vgl. Böhm/Soëtard 2012, S. 28f.). 
Der Mensch als Erzieher* ist der einzige der drei, an dem gearbeitet werden und dessen Rolle
von uns selbst eingenommen werden kann. Es muss aber die Einsicht erfolgen, dass wir selbst
nicht vollkommen sein können und dem Kind nicht uns selbst zum Ideal machen sollten. Es sol-
lte eine bessere Version von Mensch in der Erziehung des Kindes angestrebt werden. Rous-
seau meint dazu, dass die Erziehung durch den Mensch
“die einzige [ist], die wir in unserer Gewalt haben; und auch da nur unter gewissen Voraus- setzungen, denn wer kann hoffen, die Reden und die Handlungen derer überwachen zu  können, die das Kind umgeben?“ (UTB 1998, S.10).
Unter diesem Aspekt wird verständlicher, warum es noch zwei weitere Erzieher* gibt. Die Um-
gebung des Kindes, zum Beispiel, wird von Rousseau zum Erzieher* Ding gezählt, dem sich
der folgende Abschnitt widmet.

2.2. Die Dinge als Erzieher*

Die Erziehung des Kindes durch die Dinge erfolgt durch die Erfahrung und die Anschauung
(vgl. Kraft 1997, S. 21). Rousseau beschreibt es in seinem Werk als den Zuwachs der eigenen
Erfahrungen über die Dinge, die auf uns einwirken. Des Weiteren merkt er an, dass wir mit der
Fähigkeit zu empfinden geboren werden. So können die Dinge ab der Geburt auf verschiedene
Arten auf uns einwirken (vgl. UTB 1998, S.10f.). 
Rousseau benennt im Emilé nicht ausführlich was Dinge sind. Zum einen können das Gegen-
stände, Räumlichkeiten, Sachen, die wir bewusst anfassen und platzieren können, sein. Zum
anderen zählen auch die Umgebung, Situationen, Sachen, die wir nicht anfassen können, und
somit nur zum Teil beeinflussen können, dazu. Es hängt also von dem Menschen ab, wie die
Dinge für bestimmte Erfahrungen des Kindes arrangiert werden. Situationen können als Lern-
möglichkeiten für das Kind wahrgenommen und genutzt werden (vgl. Böhm/Soëtard 2012,
S. 29). Erziehung durch die Dinge geschieht also durch den Menschen, der/die die Dinge als
Methode nutzt. Sie müssen bewusst angewendet werden. Der Mensch muss wissen, sie zu in-
szenieren (vgl. Kraft 1997, S.71). Dies ist ein wichtiger Punkt im Verständnis von Rousseaus
Erziehungsbild und den Rollen der drei Erzieher*. Die Erziehung durch diese erfolgt immer über
den Menschen. Um das möglich zu machen, muss der Mensch wissen diese anzuwenden,
wirken zu lassen und ihnen ihre Erziehung zu ermöglichen. 

2.3. Die Natur als Erzieher*

Der Erzieher*, den wir nicht beeinflussen können und welchem der Mensch deshalb den Vortritt
lassen sollte, ist die Natur. Die Erziehung durch die Natur erfolgt durch die Entwicklung der
Kräfte, Fähigkeiten und unseres Körpers. Rousseau spricht davon, dass der/die Erzieher*in sich
nach dem richten muss, was die Natur vorgibt. Schließlich muss der Erzieher*, den wir nicht
ändern können die Richtung vorgeben (UTB 1998, S.10f.). 
Gleichzeitig ist der Begriff Natur, wie Rousseau ihn im Emilé verwendet, nicht erreichbar. Auch
nicht, wenn ihr der Vortritt gelassen wird. Die Natur und der unabhängige Mensch, dienen als
“idealtypische Begriffe“ (Kraft 1997, S.23). Wie im Abschnitt über den Mensch als Erzieher er-
klärt, sieht Rousseau die Gesellschaft als schlecht für den Menschen an. Sie ist das Gegenüber
der Natur, die gut ist. Dennoch ist sie erforderlich, um ein gebildeter und aufgeklärter Mensch
zu werden. In diesem Zusammenhang wurde von der Eigenliebe und dem Egoismus als Folge
der Gesellschaft gesprochen. Auch hier gibt es eine Gegenüberstellung: die Liebe zu uns Selbst
und unserem Leben, die sich im Überlebenstrieb zeigt (vgl. Böhm/Soëtard 2012, S.28f.). 
Somit besteht die Aufgabe des/der Erzieher*in darin, die höchstmögliche Perfektion der Natur
im Kind zu erreichen. Dazu sollte alles genutzt werden. Das heißt, dass sich der erwünschte Er-
ziehungserfolg nur einstellen kann, wenn die drei Erzieher*, angeleitet durch den Menschen,
zusammen arbeiten. Der Ausgang der Erziehung ist ungewiss und die Perfektion ein Zufall, da
das Zusammenwirken nur zum Teil von uns abhängt. Das ist der Grund weshalb der Natur ge-
folgt werden sollte. Dies wird eine naturgemäße Erziehung genannt.
“Wir haben also dreierlei Lehrer. […] Stimmen sie […] überein und streben sie auf ein  gemeinsames Ziel hin, so erreicht er sein Ziel und lebt dementsprechend. Er allein ist gut erzogen“ (UTB 1998, S.10).
Der folgende Abschnitt zeigt, wie eine Erziehung nach der Natur aussehen könnte.

3. Zusammenspiel der drei Erzieher* an Beispielen

“Beobachtet die Natur und folgt dem Weg, den sie euch zeigt“ (UTB 1998, S.20),
rät Rousseau. Dieser Grundsatz lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Entwicklung des
Menschen, in ihrer natürlichen Form, sei die pädagogische Norm. Erziehung darf nicht durch ein
Umlenken oder machtvolles eingreifen in die Natur erfolgen! (vgl. Böhm/Soëtard 2012, S. 30)
Dies sei an den Anfang gestellt. 
Es gibt also einen Weg, den die Natur vorgibt. Das sind zum Beispiel die natürlichen Anlagen,
die ein Kind mitbringt oder auch die verschiedenen Lebens- stufen, die ein Mensch durchschrei-
tet. An diesen zwei Beispielen wird das Zusammenspiel der drei Erzieher beschrieben.

3.1. Natürliche Anlagen

Die natürlichen Anlagen bestimmen die Fähigkeiten und den Charakter eines Menschen von
Geburt an. Es ist in der DNA festgeschrieben, ob wir besser rechnen können oder gut kochen.
Ob wir sportlich sind oder auch nicht. Rousseau hat zwar noch nicht von der DNA gesprochen,
doch ist es erstaunlich, dass seine Überzeugung heutzutage durch biologische Erkenntnisse
gesichert ist. Eine Fähigkeit, die jeder Mensch mitbekommt, ist die Fähigkeit zu lernen (vgl. UTB
1998, S.15). Darauf baut die Erziehung auf.
Die natürlichen Anlagen bestimmen die Möglichkeiten und Grenzen. Zum Beispiel kann lange
versucht werden einem/einer Schüler*in singen beizubringen, wenn die Grenze allein schon da-
rin liegt, dass der/die Schüler*in stumm ist. Oder es wird die Möglichkeit verschenkt eine*n
große*n Sprachwissenschaftler*in aus dem/der Schüler*in zu machen, der/die ein gutes Ohr für
Sprache hat. Weil die ganze Zeit Mathematik gelehrt wird. Dies führt zu dem Schluss, dass es
natürliche Unterschiede zwischen den Menschen gibt, dem sich der/die Erzieher*in bewusst
sein muss. 
Das Abweichen von dem Weg, wie in den Beispielen beschrieben, kann die Anlagen zerstören
(vgl. Kraft 1993, S.33). Deshalb ist der/die Erzieher*in wichtig: Erziehung durch die Natur, heißt
nicht, dass ein Weg zwingend ist. Erziehung durch die Natur beinhaltet auch die Möglichkeit des
Abirrens, des Fehltritts und einer Fehlentwicklung (vgl. Böhm/Soëtard 2012, S. 31). Der/die Er-
zieher*in muss daher nicht nur die natürlichen Anlagen ausbilden und vervollkommnen, sondern
auch wissen, dass die Anlagen durch (falsche) Gewohnheiten verändert werden (UTB 1998,
S.11). Mit diesem Wissen werden für den/die Erzieher*in einige Kriterien aufgestellt. Erstens
muss er/sie sich der Natur beugen und gemäß ihrer Gesetze erziehen. Zweitens sollte er/sie die
Notwendigkeit erkennen, hinter die Dinge und vor allem hinter die Natur zurückzutreten. Daraus
folgt das dritte Kriterium: die Unterstützung, die von ihm/ihr kommt, muss indirekt sein. Die
Unterstützung sollte durch Bereitstellen von Dingen, die das Interesse des Kindes wecken, er-
folgen (vgl. Böhm/Soëtard 2012, S.29f.).
In diesem Zusammenhang gibt es auch ein Kriterium für Verbote und Strafen.
“[Das Kind] braucht nur zu wissen, daß e[s] schwach ist und ihr stark seid, daß e[s] also  notwendigerweise von euch abhängig ist. […] Diese Notwendigkeit muß e[s] immer in den Dingen, nie in den Launen der Menschen sehen. Der Zwang der Verhältnisse muß der  Zügel sein, der [es] hält, nicht die Autorität. Was e[s] nicht tun soll, darf ihm nicht verboten werden. Hindert [es], es zu tun, ohne Erklärung, ohne Erörterung.“ (UTB 1998, S.70).
Unterstützung hat bei Rousseau nicht nur eine positive Bedeutung, sondern kann durchaus
etwas negatives, wie Verbote und Strafen sein. Diese Art zu erziehen lehnt er ab! Wenn das
Kind nur durch Strafen und Verbote lernt, führt das dazu Vorschriften und Versprechen nicht
ernst zu nehmen. In der weiteren Folge wird das Kind sich auch im Erwachsenenalter nicht an
Gesetze halten können. Deshalb sollte es nicht an Vorschriften gewöhnt werden. Die negative
Erziehung erfolgt durch Situationen und deren Folgen, aus dem das Kind lernt. 
Rousseau hatte klare Vorstellung wie der/die Erzieher*in zu handeln hatte, in Bezug auf die
natürlichen Anlagen des Kindes. Er war überzeugt, würde der Erzieher* anders handeln ziehe
das starke negative Folgen mit sich. Und auf dieser Überzeugung baut das letzte Kriterium für
die Erzieher*innen auf. Es sei sicherer, sich nicht in den Ausbau der Anlagen einzumischen, als
sie zu zerstören.
“Solange wir nicht wissen, was wir tun sollen, besteht die Weisheit darin, untätig zu  bleiben“ (UTB 1998, S.488).
Die Personen, die mit Kindern arbeiten, sollten über genug Wissen über das Wesen des Kindes
verfügen, dass sie dieses auch großziehen und unterstützen können. Das bezieht sich nicht nur
auf die natürlichen Anlagen, sondern auch auf die verschiedenen Lebensstufen, die als
nächstes betrachtet werden. 

3.2. Die verschiedenen Lebensstufen

Wird in der Pädagogik von Lebensstufen gesprochen, ist schnell an Piaget und sein
Entwicklungsstufenmodell gedacht. Doch auch bei Rousseau fällt der Begriff schon. Er spricht
auf S. 149 des Emilés davon, dass jedes Alter zu einer Lebensstufe gehört und diese ihre
eigene Vollkommenheit und Reife haben. Unterschieden wird hierbei in frühe Kindheit, Klein-
kind, Grundschulalter, Pubertät und junge*r Erwachsene*r. Jede einzelne Lebensstufe hat einen
eigenen pädagogischen Schwerpunkt, den der/die Erzieher*in kennen muss, um den Natur-
prozess zu unterstützen (vgl. UTB 1998, S.38f.). So richtet er zum Beispiel eine klare An-
weisung an die Mütter für die erste Lebensstufe der frühen Kindheit: Es wäre ihre erste Pflicht
das Kind zu stillen, denn dadurch werde eine Beziehung zwischen ihr und dem Kind hergestellt.
Zum anderen würde das Kind, das Gute in der Welt erkennen. Was aber noch viel wichtiger ist:
Es würde der Natur gefolgt werden und somit der erste Schritt zur naturgemäßen Erziehung ge-
tan (vgl. UTB 1998, S.18f.). Interessant ist hier nicht nur, dass er schon Thesen formuliert, die
heute in die Bindungstheorie einzuordnen sind, sondern auch, dass er dem Kind die Fähigkeit
zu lernen von Geburt an zuspricht. 
Die verschiedenen Lebensalter sollten eine weitere Grundlage des erzieherischen Handelns
sein. Sie sollten genauso eine Möglichkeit zur pädagogischen Reflexion geben, zum Beispiel,
ob ein Kind eine Lebensstufe noch nicht vollständig abgeschlossen hat. Der/die Erzieher*in
muss demnach dafür sorgen, dass ein Gleichgewicht in der Erziehung besteht. Nicht nur
zwischen den drei Erziehern*, sondern auch zwischen den verschiedenen Altersstufen und den
natürlichen Anlagen. Außerdem hat er/sie dafür Sorge zu tragen, dass das Kind die mögliche
Vollkommenheit seiner Lebensstufe erreicht und der Übergang zur nächsten Stufe gelingt.
Kinder sollten in jeder Altersstufe das altersgemäße Glück erreichen (vgl. Kraft 1993, S.35ff.).
Das Kind sollte in seiner Stufe nicht überfordert werden. Es sollte nicht mit Themen belastet
werden, die es in seiner Lebensstufe noch nicht versteht. Das Arrangieren der Dinge in seiner
Umgebung soll dazu beitragen, dass es zum einen die Gegenwart genießen, zum anderen,
dass es sich weiter entwickeln kann. Es braucht mit einem Kleinkind nicht über Rassismus,
Sexismus oder ähnliche Themen gesprochen werden, weil es das Verständnis dafür noch nicht
entwickelt hat und benötigt. 

3.3. Rousseaus Verständnis von Glück

Solche Themen halten das Kind davon ab, sein altersgemäßes Glück zu erreichen. Es muss
allerdings eingeworfen werden, dass Rousseau unter Glück etwas anderes verstand, als wir.
Glück wird heute mit einem Gefühl besser als neutral assoziiert. Für Rousseau ist es lediglich
die Abwesenheit von Leiden.
“Der Glücklichste ist, wer am wenigsten leidet […] Das Glück dieser Erde ist nur ein ne- gativer Zustand; man muß es nach dem geringsten Maß an Leid messen.“ (UTB 1998, S.57).
Diese Aussage scheint recht einfach: Wenn dem Kind kein positives Gefühl vermittelt werden
soll, sondern lediglich die Abwesenheit von negativen, braucht es nur vor negativen Erfahrun-
gen bewahrt zu werden. Dies sei aber nicht der richtige Weg, betont Rousseau.
“Heißt es nicht, einen Menschen seiner Natur entfremden, wenn man ihn vor allen Übel  seiner Gattung bewahren will. […] Wer den Schmerz nicht kennt, kennt weder mensch- liche Rührung, noch die Süße des Mitleids. Sein Herz wird durch nichts bewegt, er wäre  ungesellig und ein Ungeheuer unter seinesgleichen.“ (UTB 1998, S.65).
Daraus folgt, dass Glück auch die Fähigkeit ist, Leid ertragen zu können. Diese Fähigkeit ist von
Natur aus gegeben, muss aber, wie die anderen, von dem/der Erzieher*in weiter ausgebildet
werden. Rousseau meint und befürwortet nicht, dass der/die Erzieher*in seine*n Schüler*in
quälen soll. Leiden beschreibt das negative Gefühl an sich, aus dem das Kind lernen kann. Es
könnte zum Beispiel die Situation sein, in der Eltern ihr Kind liegend die Rutsche herunterrut-
schen lassen, obwohl sie wissen, dass es sich dabei weh tun könnte. Sollte es sich dann weh-
tun, sollte Ruhe bewahrt werden. Dadurch lernt das Kind, dass es nicht schlimm ist sich weh zu
tun. Solche Situationen findet Rousseau sehr wichtig für die Entwicklung des Kindes. Werden
negative Erfahrungen erspart, stört das die Entwicklung der menschlichen Gefühle und das Kind
wird später Schwierigkeiten haben, Gefühle wie Rührung, Einfühlungsvermögen oder Mitleid zu
empfinden. Es zeigt auch hier die Zusammenarbeit der drei Erzieher*. Der Mensch nutzt die
dingliche Situation mit der Rutsche und inszeniert sie. Er/sie lässt das Kind seine eigene Erfahr-
ung machen, was passieren kann, wenn man die Rutsche nicht nutzt wie vorgesehen. Der/die
Erzieher*in verbietet nicht die Rutsche im Liegen zu benutzen, dass Kind wird aber merken,
dass die Rutsche Widerstand leistet, wenn man sie anders nutzt. Die Rutsche wird schneller
und das Kind landet nicht auf den Füßen, sondern auf den Händen oder stößt sich den Kopf.
Die Erziehung durch die Dinge liegt im Wesentlichen darin, für die Zukunft zu lernen. Sie ge-
schieht um später ähnliche oder schlimmere Sachen zu ertragen (vgl. Kraft 1993, S.72 + 76f.). 
Rousseau greift noch einen weiteren Punkt auf, um dem Kind leiden beizubringen. Er liegt im
Gegensatz von “wollen“ und “können“. Denn das Glück kann auch durch Elternliebe, die in
materiellen Gütern ausgedrückt wird, verhindert werden. (vgl. UTB 1998, S.74f.). Kinder müssen
lernen ihre Wünsche und Fähigkeiten den Umständen anzupassen. Wenn Eltern ihr Kind dau-
ernd beschenken, vergrößert dies die Bedürfnisse, die das Kind hat. Wenn es älter wird und
selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen muss, ist sein/ihr Glück von materiellen Dingen
ab- hängig, die mit weniger Geld nicht zu bekommen sind. Das Kind darf nicht alles bekommen,
was es will und sich wünscht, denn es soll früh daran gewöhnt wer- den, dass sich nicht alles
erfüllt, was gewünscht ist. Sonst wird es später davon ausgehen, dass die ganze Welt macht,
was er oder sie will. 

Zusammenfassend zeigt sich, dass die Entwicklung eines Kindes aufgrund des Zusammen-
spiels von den natürlichen Anlagen (Natur) und der kulturbedingten, erzieherischen (Mensch)
gestalteten Umwelt (Ding) vonstatten geht (vgl. Kraft 1997, S.20). Der/die Erzieher*in sollte da-
rauf achten, dass das Kind in einer Umwelt aufwächst, die dem Kind Ruhe, Stille und Zeit lässt,
sich zu entwickeln. Dies bietet auch dem/der Erzieher*in die Möglichkeit das Kind sorgfältig zu
beobachten und das eigene Handeln zu reflektieren, bevor er/sie dieses umsetzt. (vgl. UTB
1998, S.74f.)
“In der Neugier der Kinder, in ihrem fast nie erlahmenden Interesse an ihrer Umgebung  erweist die Natur ihre Rolle im “Kolleg“ der drei Erzieher. Daher ist es nur konsequent,  wenn die Menschen – der Natur, über die sie keine Macht haben, folgend – die Umge- bung der Kinder entsprechend einrichten.“ (Kraft 1997, S.94).

4. Zusammenfassung

Das Zusammenspiel der drei Erzieher* ist wesentlich für die Erziehung nach Rousseaus Vor-
stellung. Durch sie soll das Ziel der Erziehung, einen Menschen groß zuziehen, der gut und
böse unterscheiden kann und nach diesem Prinzip moralisch handelt, erreicht werden. Das be-
inhaltet auch, dass das Kind am Ende seiner Erziehung zwar ein Individuum ist, aber sich selbst
als Mensch versteht und alle anderen akzeptiert und wertschätzt, egal welche Sprache sie
sprechen, Hautfarbe sie haben, Fähigkeiten und Eigenschaften sie mit sich bringen etc.
“In der natürlichen Ordnung sind alle Menschen gleich; ihre gemeinsame Berufung ist:  Mensch zu sein“ (UTB 1998, S.14).
Es erkennt Missstände in der Gesellschaft und strebt Gerechtigkeit für jeden
Menschen an. Aber vor allem sollte das Kind mit der Volljährigkeit unabhängig leben können
und das Wissen und die Fähigkeiten, dafür schon während des groß werdens erworben haben. 
Diese Eigenschaften sind in unserer globalisierten Welt wichtiger denn je. Um diese Ziele zu
erreichen, muss in der frühesten Kindheit begonnen werden. Die deutsche Politik veröffent-lichte 2018 das Gute-KiTa-Gesetz um die Institutionen der frühen Kindheit zu reformieren.
Wie müsste eine Kindertagesstätte aussehen, die sich an Rousseaus Erziehungsbild orientiert?
Da Rousseau gesellschaftliche Institutionen ablehnt, kann sein Bild nur als Grundlage genutzt
werden. Um das Zusammenspiel von den drei Erziehern* zu gewährleisten, könnte man das
Konzept von Waldorf, in dem Kinder sehr naturnah aufwachsen und in dem viel Zeit in der Natur
verankert ist, hinzuziehen. Die Erziehung durch die Dinge zu könnte durch das Montessori Kon-
zept gewährleistet werden. Da nach Montessori Dinge immer einen Anreiz zur Beschäftigung
geben sollen, passt das in Rousseaus Vorstellung, die Neugier und das Interesse der Kinder als
Ausgangspunkt zu nehmen, um von den Dingen zu lernen. Die Kita könnte am oder im Wald
liegen und innerlich wäre sie nach Montessori eingerichtet. Damit wäre die oberflächliche Basis
gelegt. Kann aber der Erzieher* Mensch so wie Rousseau ihn sich vorstellt verwirklicht werden?
Nach dem Prinzip, dass es eine Person gibt, nachdem sich das Kind richten soll, gäbe es für je-
des Kind eine*n Bezugserzieher*in. Diese*r müsste mehrere Kinder betreuen, um dem Betreu-
ungsschlüssel gerecht zu werden. Die Gruppe sollte dennoch nicht zu viele Kinder umfassen,
sodass er/sie die Möglichkeit hat, die Kinder genau zu beobachten, ihre Fähigkeiten zu erken-
nen und sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen. 
Die Zusammenarbeit mit den Eltern müsste sehr eng sein. Da es nicht möglich ist ein Kind von
nur einer Person erziehen zu lassen, sollten sich Eltern und Pädagog*innen zumindest in der Art
der Erziehung einig sein und austauschen. Anmeldungen sollten vor der Geburt erfolgen, so-
dass die Bezugsperson schon nach der Geburt kennengelernt werden kann. 
Der/die Erzieher*in müsste davor ein Studium der Pädagogik abgeschlossen haben, damit das
Wissen über die Wichtigkeit der natürlichen Anlagen und der einzelnen Lebensstufen gewähr-
leistet ist. Beobachtungsmethoden würden ebenfalls erlernt um die Kinder so genau wie möglich
in ihrer Entwicklung beobachten zu können. Auf den Beobachtungen aufbauend, würde für je-
des Kind ein eigener Plan auf Basis seiner Fähigkeiten, Erfahrungen und Lebensstufen erstellt
werden. Dieser bestimmt wie der/die Erzieher*in die Dinge in der Umwelt des Kindes inszeniert
und es somit in seiner Entwicklung unterstützt.
Es zeigt sich: Je ausführlicher es wird, desto idealistischer werden Rousseau’s Vorstell-ungen. Wird zum Beispiel die Ruhe und Zeit für Kind und Erzieher*in als Kriterium hinzuge-
nommen, wirkt das ganze nicht mehr realistisch umsetzbar. Denn selbst bei fünf Kindern würde
die Zeit, um jede einzelne Handlung zu hinter- fragen, bevor sie ausgeführt wird, nicht vorhan-
den sein. Dies erklärt wohl warum Rousseaus Werk und seine darin beschriebenen Vorstel-
lungen erstrebenswert wirken, aber nie in die Praxis umgesetzt wurden. Auch heute nicht, in der
dies keine Revolution des Kindesbild mehr ist. In unserer Gesellschaft, ist es nicht möglich ein
Kind nur von einem Erwachsenen großziehen zu lassen. Heute noch weniger, als zu Rousseaus
Zeiten. Frauen haben das Recht auf Arbeit und nutzen es. Kindertagesstätten sind nötig um
nicht nur ihnen, sondern auch den Männern, zu ermöglichen dies in Anspruch zu nehmen. Rous-
seaus Vorstellungen sind nicht für Institutionen gemacht. 
Man könnte dennoch einige Ansprüche aus seinem Werk in die Bildungsreform und das Gute-
Kita-Gesetz integrieren. 
Zum einen ist die Erkenntnis von Rousseau wichtig, dass Erziehung nicht nur positiv verlaufen
kann und die Erzieher*innen deshalb über ausreichend Wissen verfügen sollten, bevor sie mit
Kindern arbeiten. Ein Punkt, der durchaus mehr Beachtung verdient. In Kindertagesstätten wird
durch den Fachkräftemangel viel auf Personal zurückgegriffen, die keine pädagogische Ausbild-
ung gemacht haben, zum Beispiel im Freiwilligen Sozialen Jahr. Hier könnte die Regel einge-
führt werden, dass eine bestimmte Anzahl von Seminarstunden erforderlich sind, bevor man mit
Kindern arbeiten darf. Das Verständnis, was Erfahrungen in der frühen Kindheit für die weitere
Entwicklung eines Kindes bedeuten, sollte hierbei mehr in den Fokus gerückt werden. Auch der
Diskurs zwischen Ausbildung und Studium bedarf seit längerem eine Klärung. Ein allgemeines
verpflichtendes Hochschulstudium würde hierbei das erforderliche Wissen abdecken. Die Wahl
des Hochschulstudiums als Verpflichtung, baut auf dem Wert, den Rousseau den Beobacht-
ungen in der Erziehung eines Kindes zuspricht, auf. Der akademische Anspruch eines Studiums
könnte dem Bereich Beobachtungsmethoden, wissenschaftliches Arbeiten und Forschung ge-
recht werden.
Auch die Notwendigkeit von enger Zusammenarbeit zwischen Eltern und Pädagog*in sollte aus-
schlaggebend für die Qualität einer Kita sein. Durch das Studium könnten die Eltern darauf ver-
trauen, dass die Pädagog*innen Situationen einschätzen können. Sie lassen die Kinder ihre Er-
fahrungen machen, aber würden auch im richtigen Moment eingreifen. Durch Transparenz des
Erziehungsverständnisses der Pädagog*innen und der Einrichtung könnten Konflikte vorge-
beugt werden und auf die Unterstützung der Eltern im alltäglichen Umfeld außerhalb der Kita ge-
baut werden, zum Beispiel durch Gespräche über materielle Güter. In einem Zeitalter, in dem die
Prozentzahlen von Menschen die an Depressionen leiden stetig steigen, könnten solche Ge-
spräche vielleicht zum allgemeinen Glücksgefühl beitragen. 

Für Eltern, Pädagog*innen und Politiker*innen diene Rousseaus Lektüre als Idealbild von Er-
ziehung. 

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