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Wenn der Alltag einkehrt...

Das Forest House
Vor genau vier Monaten kam ich um 4 Uhr morgens am Flughafen in Lungi an und war an dem Tag
vollkommen überfordert mit den ganzen neuen Eindrücken. Heute fällt es mir immer schwerer Dinge zu erkennen, die für euch super interessant und anders sein müssen, für mich aber schon normal sind.

Es ist normal, sich mit zwei Eimern zu duschen. Mit einem in dem das frische Wasser ist und einem in dem man drin steht um das Dreckwasser aufzufangen, damit man das zum Klo spülen wieder verwenden kann.
Es ist normal, sich die Zähne nicht mit dem Leitungswasser zu putzen. Am Anfang hatte ich oft noch die Situation in der ich fast meine Zahnbürste unter den Wasserhahn gehalten hätte, sie aber im letzten Moment zurückzog.
Es ist normal, dass man sich immer nach dem Toilettengang und vor dem Essen die Hände wäscht. Und das wirklich immer.  
Es ist normal, dass der Stadtstrom oft nicht da ist und deshalb die Ventilatoren nicht laufen und man sich andere Wege suchen muss, um nicht durchgängig zu schwitzen. Mir ist sogar vor einigen Tagen aufgefallen, dass ich das fehlen von Strom nie mit dem Wort "Stromausfall" in Verbindung bringe. Der Strom ist halt da oder "no dee".
Es ist normal, allen Müll in einen Eimer zu werfen. Und damit meine ich wirklich allen Müll! Egal ob Papier, Plastik, Glas oder alte Batterien.
Es ist normal, sich eine Limo zu öffnen und sie dann erstmal mit einem Tuch abzuwischen, um sich vor Lassa-Fieber zu schützen.
Es ist normal, dass es an einigen Tagen von 9 bis 22 Uhr Musik gibt, weil irgendwo in deiner Nachbarschaft eine Feier gefeiert wird.
Es ist normal, dass dir alle Kinder winken.
Es ist normal, dass ich erstmal einige Minuten handel, bevor ich etwas kaufe. Und das der erste Preis immer extrem teuer ist, weil sie mir den "Pumui"-Preis geben. Allerdings ist nun meist an meiner Reaktion relativ schnell klar, dass ich nicht nur irgendeine weiße Touristin bin, die keine Ahnung hat, wie billig man Sachen hier eigentlich bekommt.
Es ist normal, dass ich bei jedem Stadtbesuch mindestens einen neuen "Freund" habe.
Es ist normal, dass ich öfters mal Heiratsanträge von Männern bekomme, die ich seit etwa 5 Minuten kenne.

Und das könnte noch eine ganze Weile so weiter gehen. Doch ich glaube, ihr versteht meinen Punkt. Und das es für mich normal ist heißt nicht, dass diese Dinge mich nicht mehr stören. Klar, einiges ist mittlerweile Routine und selbstverständlich, so dass es mir nicht mehr auffällt, aber wenn es zum Beispiel um meinen Sonderstatus als weiße Frau hier geht komme ich immer noch nicht damit klar, dass man mich anders behandelt, einfach nur weil ich weiß bin. Und das bezieht sich sowohl auf positive Sachen, wie auf negative Sachen. So stört es mich zum Beispiel genauso, dass in der Kirche aufgestanden wird oder extra Stühle rangeschafft werden, nur damit "die Weißen" sitzen können, wie wenn Leute meinen, dass ich mehr bezahlen muss, weil ich weiß bin. Und ich glaube, dass ist auch eine Sache, die sich in der Zeit hier nicht ändern wird. Für mich ist es einfach nicht verständlich, warum ich höher gestellt werde, nur weil ich eine andere Hautfarbe habe. Und ich fühle mich oft unwohl damit.
Aber dass dies trotz allem für mich schon normal ist, zeigt mir wie sehr ich mittlerweile hier angekommen bin. Und das ich hier nicht einfach nur aus Reisefreude bin, sondern das ich hier einen Alltag habe.

So stehe ich jeden Morgen um spätestens acht Uhr auf, frühstücke mit Jan, Milli, Lotte und Pepe und
beginne dann mit der Schule. Ich unterrichte Lotte und Pepe jetzt seit etwa 3 Monaten. Am Anfang bin ich strikt nach dem Plan der Fernschule gegangen. Mittlerweile bin ich gut in das Unterrichten und meine Position als Lehrerin (und nicht mehr Schülerin) reingekommen. Ich nehme mir Abends mehr Zeit und weiß in welchen Bereichen die beiden Probleme haben und mit welchen Hilfestellungen ich Erfolge erzielen. So singt Lotte sehr gerne und ihr hilft es sich Dinge besser zu merken. Pepe ist eher so der Macher und ihm hilft es Dinge anfassen zu können. Letzte Woche hatte ich mit Pepe das Thema Formen und er hat Dreiecke, Kreise, Quadrate und Rechtecke kennengelernt. Leider konnte er sich bis auf die Form Kreis nicht wirklich die Namen merken. Also habe ich mich Abends hingesetzt und ihm die Formen nochmal ausgeschnitten und groß die Namen raufgeschrieben in einer Art die auch er lesen konnte. Beim Dreieck stand eine große 3 und ich habe einige Ecken aufgemalt, beim Rechteck habe ich einen Pfeil nach rechts und Ecken gemalt und beim Quadrat eine Qualle und Stacheldraht. Ehrlich gesagt, war ich mir nicht sicher wie gut das funktionieren würde und ob er das überhaupt erkennt. Am nächsten Tag stellten sich meine Zweifel allerdings als unbegründet heraus, denn er erkannte alles auf Anhieb und innerhalb von 10 Minuten konnte er alle Namen. Das sind Erfolge die auch mich lehren und die dazuführen, dass mir das Unterrichten großen Spaß macht und mich anspornt Dinge anders zu machen, als sie von der Fernschule vorgegeben sind. 

Zweimal die Woche sind wir zum Yoga verabredet mit Evelyn, einer deutschen Frau, die ebenfalls in Bo wohnt. Ich wollte schon in Berlin mal in so einen Yogakurs reinschnuppern, bin aber nie dazugekommen. Hier merke ich, dass das meinem Körper echt gut tut und ich durch die paar Stunden schon gelenkiger geworden bin. Ich hoffe nur, dass ich es auf die Reihe kriege in Berlin weiter dran zu bleiben.
Zoe
Jeden Tag verbringe ich einige Zeit mit Mr. Pigeldi, dem Schwein. Es freut mich, dass ich hier die Möglichkeit habe ein Schwein zu halten, was in Berlin ja nicht so einfach geht und es macht mich sehr glücklich ihn grunzen zu hören. Leider kann er nicht mehr so unbeschwert durch den Garten laufen, wie am Anfang, da die Beziehung mit den Hunden nicht so optimal ist.
Kiddo
Aus den zwei Hunden, Mia und George, sind mittlerweile fünf geworden. Im Februar haben wir die kleine Zoê Bell geholt und im März kamen dann noch Kiddo und Django dazu. Django ist eine Pitbull-Bulldoggen-Mischung und somit unser "großer" Hund. Einige von euch wissen vielleicht, dass ich schnell mein Herz an große Hunde verliere und genau das ist hier auch eingetreten. Zur Zeit haben wir drei kleine Kücken und somit haben wir leider auch keine eigenen Eier. Ich habe im Februar das Schlachten eines Hahns miterlebt und bin sehr froh über dieses Erlebnis, weil mich das meine Einstellung zu Fleisch und Masttieren nochmal mehr überdenken lässt. Ich habe viel geweint und konnte ihn dann auch nicht wirklich essen, weil ich immer vor mir hatte, wie er geköpft wurde. Wie kann ich dann ohne jeden Gedanken abgepacktes Fleisch essen von Tieren, die es wahrscheinlich noch schlechter hatten, als dieser Hahn?
Django

Ich fühle mich sehr wohl hier, freue mich aber zur Zeit sehr auf die Regenzeit, weil es immer heißer und schwüler wird. Und ja es geht mir sehr gut hier. Ich sehe jetzt schon einige Dinge anders als vor der Zeit hier und bin gespannt, wie sich das in Deutschland zeigen wird. Aber natürlich läuft im normalen Alltag nicht alles so glatt und toll wie man immer möchte. So schlafe ich zum Beispiel seit etwa einem Monat nicht länger als 5 Stunden die Nacht und an manchen Tagen ist es leichter und an manchen Tagen schwerer die Kids bei Laune zu halten. Und die Leute die schon aufgeatmet haben und sich dachten, dass sie nun immer eine super gelaunte Anna haben werden, wenn ich zurück bin, muss ich leider enttäuschen. Es gibt immer noch meine Phasen und Tage in denen ich alles hinterfrage. Und es gibt auch die Tage und Phasen an denen ich mit dem Gesamtpaket "mir" einfach total unzufrieden bin. Ich bin noch auf dem Weg, aber auf was ich eigentlich hinaus will ist, dass ich mich hier besser kennenlerne. Ich entwickel ein Gefühl für mich selbst, dass ich vorher noch nicht hatte. Ich "zerdenke" Dinge immer noch, aber ich handel auch mal aus einem Gefühl heraus, weil es sich richtig in dem Moment anfühlt und am Ende kann ich niemandem wirklich erklären warum ich es getan haben, außer mit den Worten "Ich habe einfach gefühlt, dass es richtige war."
Einige werden sich jetzt denken: "Okay, was labbert sie da?" und das kann ich auch verstehen und deshalb höre ich auch auf damit, dass waren bloß Erkenntnisse über mich die ich hatte und die auch zu meinem Alltag gehören und es wird sicher ein, zwei Menschen geben, die wissen auf was ich anspiele und was ich meine und für die hat es sich dann doch gelohnt es aufzuschreiben. Aber alles in einem kann ich mich nicht beklagen und bin mehr als zufrieden mit der Zeit die ich hier habe.

Das so viel aus meinem Alltag. Ich dachte einfach so ein kleines Update wäre nicht ganz so schlecht, bevor ich wieder mit bestimmten Themen anfange. Bis dahin wünsche ich euch alles liebe und gute aus dem viel zu warmen Sierra Leone.

Eure Anna

mit dem geschlachteten Hahn

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