Am Samstag, dem 27. Mai. 2017 besuchte ich den Workshop von Milli. Es war durchaus auch interessant für mich und deshalb wollte ich die Eindrücke gerne mit euch teilen.
Samstag morgen um 9. Milli und ich sitzen in einem leeren Raum auf dem Grundstück des Mercy Hospitals. Diese Räume sollen mal eine Krankenpflegerschule werden, doch zur Zeit fehlt noch der Partner, also stehen sie einfach nur leer und werden älter. Die Wände sind kahl und in einer Ecke des Raumes steht ein Flipchart. Wir beide sitzen in einem Stuhlkreis. Alleine. Milli erklärt mir, dass normaler Weise um 9 Uhr die Hälfte der Lehrer schon da sei und sie dann zwischen 9.15 Uhr und 9.30 Uhr anfangen können, doch leider hat sie heute eine wichtige Sache vergessen: Es ist Cleaning Day in Bo. Dieser ist immer am letzten Samstag im Monat und die Menschen müssen an diesem Tag bis 10 Uhr zu Hause bleiben und ihr Haus und den Teil davor sauber machen. Wer auf der Straße von der Polizei erwischt wird, muss diese sauber machen. Die Realität sieht allerdings anders aus: Die Menschen sitzen oft nur vor ihren Häusern und sobald ein Auto vorbeifährt fangen sie an zu putzen. Immerhin könnte es die Polizei sein. Ist die Gefahr vorbei, setzen sie sich wieder. Also behindert dieser Tag eigentlich nur die Aktivitäten die an diesem Tag anfallen, wie z.B. Millis Workshop.
Zu Beginn wird ein Lied gesungen und gebetet, danach nennt Milli die Themen des heutigen Workshops: Teenagerschwangerschaften und Abtreibung.
Bevor es aber richtig losgeht, erinnert Milli sie noch an eine Sache, die sie das letzte Mal gelernt haben: Bei manchen Themen gibt es verschiedene Meinungen (die alle okay sind). Man muss aber für sich die Entscheidung treffen, nach wem man sich richtet: Nach der Kirche, dem Staat oder vielleicht auch nach keinen Institutionen, sondern nur nach seiner ganz eigenen Überzeugung? Zu diesen Themen gehören nämlich auch die, die sie heute behandeln.
Teenagerschwangerschaftsrate sehr hoch
Milli liest zwei Berichte von Unicef und Amnesty International über Teenagerschwangerschaften in Sierra Leone vor. So sei die Zahl der Teenagerschwangerschaften während der Ebolazeit gestiegen. 2015 waren es 14.000 junge Mädchen die Schwanger waren und wurden, 11.000 davon Schülerinnen. Schwangere Mädchen werden den Schulen verwiesen. Auch gaben viele Teenager in einer Befragung an regelmäßig Sex zu haben (44 % in den letzten Wochen), aber nur etwa 35% aller befragten Teenager hat jemals ein Kondom benutzt.Nun fragt sie die Lehrer, ob sie dem zustimmen würden oder nicht. Alle sind sich einig: Genau das sehen sie auch bei sich in den Schulen. Das größte Problem sehen sie vorallem in der zu spät startenden Sexualaufklärung. Erst in der 3. Stufe der Junior Secondary School wird damit begonnen. Das ist etwa in der neunten Klasse des deutschen Schulsystems und die Schüler sind dann zwischen 15 und 21 Jahre alt und bei einem 21 Jährigen kommt die Sexualaufklärung auf jedenfall zu spät! Nun startet eine stille Diskusion auf vier großen Flipchartblättern. Doch bevor wir an den Fragen arbeiten, ob man schwangere Mädchen zur Schule gehen lassen sollte, ob das Reden über Sex die Kinder dazu anspornt Sex zu haben, was Teenagerschwangerschaften begünstigt und was sie - die Lehrer und Milli - tun können um Teenagerschwangerschaften vorzubeugen, bringt Milli ihnen nochmal die Lernmethode der stillen Diskussion nah.
Auch bei der Frage, ob schwangere Mädchen weiter zur Schule gehen sollten, treffe ich fast nur auf Opposition. Die meisten meinen, dass die Mitschüler die Schwangeren auslachen und einige Mädchen sich daran ein Beispiel nehmen würden. Auch hier wird kurz darüber gesprochen. Vielleicht ist es nicht nur von Nachteil, wenn schwangere Mädchen in die Schule gehen würden? So würden viel mehr Mädchen nicht nur für ein paar Jahre in die Schule gehen, sondern auch ihren Abschluss machen können. Außerdem könnte ein schwangeres Mädchen in der Klasse - auf der anderen Seite - auch abschrecken, wenn die anderen Mädchen sehen, wie schwierig es sein kann Schwangerschaft und Schule unter einen Hut zu bekommen. Leider muss man an dieser Stelle auch sagen, dass es in Sierra Leone nicht viele Jobs für Frauen gibt, wofür man einen Abschluss braucht und so ist für viele Mädchen das Erreichen des Zieles "Familie" wichtiger, als das des Schulabschlusses.
Was mich sehr beeindruckt, ist das den Lehrern sehr wohl bewusst ist, dass es einige Lücken im Schulsystem, vor allem in der Sexualaufklärung, gibt. So wird sowohl bei der Frage, was Teenagerschwangerschaften begünstigt, fehlende Bildung angemerkt, sowie bei der Vorbeugung dieser, eine Verbesserung der Bildung - durch Lehrer- und Schülerschulungen, sowie einen früheren Start - vorgeschlagen.
Pro Life - Pro Choice
Zum Abschluss gibt es eine Runde, in der sich jeder einen Stein, eine Streichholzpackung oder eine Süßigkeit nimmt. Der Stein steht für Sachen, die schwer im Workshop waren, über die man noch lange nachdenken muss oder die man nicht richtig verstanden hat. Die Streichhölzer sollen Dinge darstellen, bei denen ihnen ein Licht aufgegangen ist und die Süßigkeiten sind die Sachen die einem besonders gut gefallen haben.
"I was moved and had empathy for the little girl.", sagte ein Lehrer, während er sich ein Streichholz nahm. Damit spielt er auf den Film an der zum Thema Abtreibung gezeigt wurde. Über Millis Gesicht huscht ein Lächeln. Es freut Milli, dass die Lehrer so gut auf das Thema Abtreibung reagieren. Der Großteil der Lehrer sagt, dass ihnen dabei ein Licht aufgegangen ist. Aber auch einige Steine werden mitgenommen. So merkte einer an, dass er einen Stein für die Frage, ob schwangere Mädchen zur Schule gehen sollten, nimmt.
Und das wird wohl nicht die einzige Diskussionen sein, die nach Ende des Workshops weitergeführt wird.
Doch genau das ist es, was Milli ebenfalls mit ihren Workshops erreichen will und so gibt sie den Lehrern mit: "Es ist am Ende an euch die Entscheidung zu treffen: Lasse ich in meinem Unterricht Diskussionen zu?!"
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